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Regeln brechen, Geschichte schreiben: Schwarze Athlet*innen im Fokus

Die Emanzipation schwarzer Athletinnen und Athleten hat nicht nur ein Kapitel sportlicher Erfolgsgeschichten eröffnet, sondern auch zahlreiche Regeländerungen provoziert. Nachdem Rassentrennung und Kolonialismus besiegt worden waren, mischten sich diese Sportler in den bislang weißen Wettbewerb ein und brachten Dynamik, technische Finesse und politisches Bewusstsein mit. Ihre Dominanz, ihr kreatives Spiel und ihre Proteste zwangen Verbände zu Anpassungen – manchmal um sie einzuschränken, oft aber auch, um Fairness und Sicherheit zu gewährleisten.

Das Westindische Cricket‑Team und die Begrenzung der „Bouncer“

Das Rekordteam der Westindischen Inseln prägte den internationalen Cricket‑Sport in den 1970er und 1980er Jahren. Unter Clive Lloyd stellten sie ein Quartett aus extrem schnellen Bowlern auf (u. a. Michael Holding), das den Gegner mit „Bouncern“ einschüchterte und die überkommene Höflichkeit des Spiels sprengte. Eine historische Auswahl der besten West‑Indies‑Elf beschreibt, dass die Internationale Cricket‑Organisation (ICC) wegen der langsamen Over‑Rate der schnellen Westindischen Bowler und ihrer Einschüchterung 1991 eine Regel einführte, die nur einen „Bouncer“ pro Schlagmann und Over zuließ[1]. 1994 wurde diese Regel auf zwei Bouncer pro Over erweitert[1].

Ein Cricket‑Guide hebt hervor, dass der Druck nach dem Schlag ins Gesicht des englischen Kapitäns Mike Gatting im Jahr 1986 zu dieser Reform führte; der ICC wollte die gefährlichen kurzen Bälle begrenzen und damit die Dominanz der West‑Indies‑Pace‑Bowler eindämmen. Die Westindischen Spieler kritisierten diese Regeln, weil sie das Kräfteverhältnis zugunsten der Schlagmänner verschieben würden[2]. Auch brachte ihre Weigerung, sich dem Kolonialstil zu unterwerfen, politischen Zündstoff: Der Filmemacher Fire in Babylon zeigte, dass die Westindischen Cricketer sich „dem weißen Cricket“ widersetzen wollten, für faire Bezahlung streikten und durch ihre Siege ein Symbol für Unabhängigkeit wurden[3]. Die Bouncer‑Regel veränderte das Spiel nachhaltig und zeigt, wie schwarze Dominanz zu regulatorischen Anpassungen führte.

Die „Mel‑Blount‑Rule“ in der NFL

In der National Football League (NFL) dominierte Cornerback Mel Blount (Pittsburgh Steelers) Mitte der 1970er Jahre mit einer körperbetonten „bump‑and‑run“‑Verteidigung. Der Pro‑Football‑Hall‑of‑Fame würdigt ihn als Prototyp des Cornerbacks seiner Ära. Die Biografie vermerkt, dass „mitte seiner Karriere die Regeln geändert wurden, sodass eine derartige Belästigung des Receivers illegal wurde“[4]. Die Spielweise, bei der Blount die Receiver weit über die Anspiellinie hinaus blockierte, erschwerte den Passangriff.

Nach jahrelangen Klagen der Trainer, dass die Defensivspieler das Passspiel „erwürgten“, führte die NFL 1978 Regeländerungen ein, um den Angriff zu fördern. Der Sporthistoriker Joe Zagorski beschreibt, dass Verteidiger ab der Saison 1978 die Receiver nur noch innerhalb von fünf Yards von der Line of Scrimmage berühren durften; danach war jeglicher Kontakt untersagt[5]. Dieser Passverteidigungs‑Passus wurde „Mel‑Blount‑Rule“ genannt[6].

Die Regel öffnete das Spiel für spektakuläre Passangriffe und begründete die heutige Passlastigkeit der NFL. Für Blount bedeutete sie keine Karrierebremse: Er passte sich an, fing weiterhin zahlreiche Interceptions und wurde 1989 in die Hall of Fame aufgenommen[4].

„Roy Williams Rule“ und das Verbot des Horse‑Collar Tackles

Ein weiterer NFL‑Regelwechsel wurde durch einen schwarzen Spieler erzwungen: Roy Williams, Safety der Dallas Cowboys. Er war berüchtigt für das sogenannte Horse‑Collar Tackle, bei dem der Verteidiger den Gegner am Kragen von hinten herunterzieht. 2004 verursachten solche Tackles mehrere Beinbrüche, darunter den des Star‑Receivers Terrell Owens. Die NFL reagierte und verbot den Griff am Kragen; der Pressespitzname lautet „Roy‑Williams‑Rule“. Die Liga stimmte 2005 für das Verbot[7], und ein Bericht von NBC betont, dass dieses Verbot zunächst „weitgehend als Roy‑Williams‑Rule bekannt war“, weil Williams 2004 Terrell Owens’ Bein gebrochen hatte und die Regel in der folgenden Off‑Season eingeführt wurde[8]. Die Änderung schützt seither die Spieler vor schweren Verletzungen.

Mel Bount Legends Empfang

Basketball – Dunk‑Verbot und verbreiterte Zone

„Lew‑Alcindor‑Rule“: Verbot des Dunkings (1967 – 1976)

Im College‑Basketball war der Dunk lange Symbol schwarzer Athletik. Als Lew Alcindor (der spätere Kareem Abdul‑Jabbar) an der University of California, Los Angeles (UCLA) dominierte, reagierte die National Collegiate Athletic Association (NCAA) 1967. Sie verbot Dunkings nach Einwürfen – das sog. „Lew‑Alcindor‑Rule“. Der Guardian schreibt, dass die Regel von 1967 bis 1976 galt und offenkundig darauf zielte, den 2,18 Meter großen Alcindor zu zähmen; Puristen empfanden den Dunk als „widernatürlich“, während man ihn unter schwarzen Spielern als Ausdruck von Kraft feierte[9]. Das Verbot zwang Kareem, seinen charakteristischen „Sky Hook“ zu perfektionieren und prägte so dauerhaft die Technik des Spiels.

Die verbreiterte Zone – ein Gegenmittel gegen Wilt Chamberlain

Center Wilt Chamberlain dominierte die NBA in den 1960er Jahren so sehr, dass die Liga die Zone (den Schlüssel) 1964/65 von 12 auf 16 Fuß verbreiterte. Die NBA‑Regelgeschichte erklärt, dass diese Änderung „hauptsächlich auf die Dominanz von Wilt Chamberlain zurückgeführt wird“[10]. Die Vorgängerregel (6 Fuß Breite) war 1951 wegen der Überlegenheit von George Mikan auf 12 Fuß erweitert worden; mit Chamberlain sollte verhindert werden, dass ein so physisch überlegener Spieler permanent unter dem Korb stehen konnte[11]. Zusammen mit der Einführung der 24‑Sekunden‑Uhr und später des Dreipunktwurfs wurde das Spiel schneller und teamorientierter.

Arbeitsrechte und freie Meinungsäußerung

Neben reinen Spielregeln veränderten schwarze NBA‑Stars auch arbeitsrechtliche Grundsätze. Kareem Abdul‑Jabbar und andere Afro‑Amerikaner engagierten sich für eine gerechte Bezahlung, freie Spielerverträge und das Recht, sich politisch zu äußern. Laut einer Studie der amerikanischen National Endowment for the Humanities sorgten ihre Forderungen dafür, dass die NBA die Reservelisten abschaffte, freie Agenturen zuließ und Spielern eine Stimme im Liga‑Management gab[12].

Kareem Abdul-Jabbar, 1969

Ein Foto von Kareem Abdul-Jabbar aus dem Jahr 1969, wahrscheinlich während seiner Zeit als College-Basketballspieler.

Olympischer Protest und die Entstehung von Regel 50

Die politischen Gesten schwarzer Athleten führten auch zu Regularien abseits des Spielfelds. Bei den Olympischen Spielen 1968 in Mexiko‑Stadt erhoben die US‑Sprinter Tommie Smith und John Carlos auf dem Siegerpodest erhobene, schwarz behandschuhte Fäuste – ein Zeichen des Kampfes gegen Rassismus. Die Associated Press berichtet, dass sie für diesen Protest aus der Mannschaft ausgeschlossen wurden und „für fast ein halbes Jahrhundert aus der olympischen Bewegung verbannt“ blieben[13]. In der Folge schrieb das Internationale Olympische Komitee (IOC) 1975 das Demonstrationsverbot in sein Regelwerk: Regel 50 des IOC‑Statuts verbietet seither jede „Demonstration oder politische, religiöse oder rassistische Propaganda“ auf olympischen Stätten[13]. Die AP merkt an, dass die Grundstruktur dieses Verbots ursprünglich Teil von Regel 55 war und 1975 in die Satzung aufgenommen wurde[13].

Dieses Demonstrationsverbot – eine direkte Reaktion auf den schwarzen Protest von 1968 – ist bis heute umstritten; erst 2021 lockerte das IOC es geringfügig und gestattet seither Gesten auf dem Spielfeld, nicht aber auf dem Podium. Das Beispiel zeigt, dass schwarze Sportler nicht nur Spielregeln, sondern auch die politischen Rahmenbedingungen des Sports beeinflussten.

Fazit

Seit der Öffnung der Sportarten für schwarze Athletinnen und Athleten haben diese mit ihren Leistungen und ihrem Engagement mehrfach die Regeln des Spiels verändert. Ob als dominierender Bowler im Cricket, als physischer Cornerback in der NFL, als überragender Center in der NBA oder als politisch bewusster Olympiasieger – sie konfrontierten etablierte Strukturen mit neuer Dynamik. Häufig reagierten Verbände mit Regelverschärfungen, um Sicherheit oder Chancengleichheit zu verbessern; manchmal zielten die Regeln darauf, die Kreativität schwarzer Athletik zu bremsen. Doch gerade diese Auseinandersetzungen machten deutlich, wie unverzichtbar schwarze Sportler für die Entwicklung moderner Sportkultur sind. Ihre Erfolge und ihr Mut führten zu einem gerechteren, spannenderen und politisch bewussteren Sport – und gaben Millionen Menschen weltweit ein neues Verständnis von Fairness und Emanzipation.

Die US-amerikanischen Leichtathleten Tommie Smith und John Carlos strecken bei den Olympischen Sommerspielen 1968 in Mexiko-Stadt während der Siegerehrung im 200-Meter-Lauf die Fäuste in die Höhe. Peter Norman, der Silbermedaillengewinner aus Australien, steht solidarisch an ihrer Seite.

[1] The best West Indies XI – Stabroek News

https://www.stabroeknews.com/2016/04/17/features/best-west-indies-xi/

[2]  How Many Bouncers Are Allowed In An Over : T20, IPL, Test, & ODI

https://www.sportsboom.com/cricket/indian-premier-league/how-many-bouncers-are-allowed-in-an-over-bouncer-laws-in-cricket-explained/

[3] Fire in Babylon and The Racial Politics of West Indian Cricket – AAIHS

https://www.aaihs.org/fire-in-babylon-and-the-racial-politics-of-west-indian-cricket/

[4] Mel Blount | Pro Football Hall of Fame

https://www.profootballhof.com/players/mel-blount/

[5] [6] Adjusting to the NFL Rule Changes in 1978

https://sportshistorynetwork.com/football/1978-nfl-rule-changes/

[7] Horse-collar tackle – Wikipedia

https://en.wikipedia.org/wiki/Horse-collar_tackle

[8] NFL Approves Expanded Horse Collar Rule – NBC 5 Dallas-Fort Worth

https://www.nbcdfw.com/news/sports/nfl-approves-expanded-horse-collar-rule/200742/

[9] The history of the slam dunk: from outlawed move to beloved highlight | Basketball | The Guardian

https://www.theguardian.com/sport/2023/feb/17/slam-dunk-banned-college-basketball-high-school

[10] NBA Rules History

https://www.angelfire.com/ab/NBApage/RulesHistory.html

[11] Key (basketball) – Wikipedia

https://en.wikipedia.org/wiki/Key_(basketball)

[12] Kareem Abdul-Jabbar Changed the Rules for Black Athletes | National Endowment for the Humanities

https://www.neh.gov/article/kareem-abdul-jabbar-changed-rules-black-athletes

[13] EXPLAINER: What’s the history of the Olympics protest rule? | AP News

https://apnews.com/article/2020-tokyo-olympics-explainer-protest-rule-racial-injustice-dcb4de638c59b77d259f713af73f5c5a

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